loading . . . Ab sofort bin ich Terrorist, ich bin Antifa Ab sofort, liebe Hörer*innen und Leser*innen, bin ich Terrorist, und die Meisten von Ihnen auch. Ich kann Ihnen sagen: Ein schönes Gefühl ist das nicht.
Kein politischer Begriff hat in den letzten Wochen so häufig für Schlagzeilen gesorgt wie „Die Antifa“. Donald Trump hat sie verboten, und das niederländische Parlament hat einen Antrag angenommen, die Regierung möge dasselbe tun. Nun: Wenn ich jemanden zum Terroristen erklären will, muss ich erst einmal klären, wer das eigentlich ist – und was Terrorismus bedeutet.
Schon hier fangen die Probleme an. Es gibt nämlich keine einheitliche Definition. Jeder Staat regelt das für sich selbst. In den USA hat sogar jede Bundesbehörde ihre eigene. Damit wir überhaupt weiterkommen, nehme ich die Definition aus dem deutschen Strafrecht. Terrorismus ist nach den Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, durch Anschläge auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen – insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129a Strafgesetzbuch genannt sind.
Ein kurzer Einschub dazu: Dieser Paragraph wurde in den siebziger Jahren als Reaktion auf die RAF eingeführt, man spricht auch von der „Lex RAF“. Er ist bis heute der Kern des Staatsschutzstrafrechts. Wer eine terroristische Vereinigung gründet, ihr angehört oder sie unterstützt, muss mit Freiheitsstrafe rechnen. Die genannten Delikte sind schwerste Straftaten: Mord und Totschlag, Entführungen, Geiselnahmen, Sprengstoffanschläge, aber auch Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen. Schon das Planen oder Androhen solcher Taten ist strafbar. Das Strafmaß reicht in der Regel von einem bis zu zehn Jahren, für Rädelsführer mindestens drei Jahre. Kritiker warnen jedoch: § 129a sei ein „Gummiparagraph“. Er werde sehr weit ausgelegt und ermögliche Strafverfolgung schon weit vor konkreten Taten, allein aufgrund von Mitgliedschaft oder organisatorischen Aktivitäten. Selbst der Bundesgerichtshof hatte Bedenken. Damit droht eine Norm, die eigentlich vor Terror schützen soll, zum Werkzeug gegen politischen Aktivismus zu werden. Und genau deshalb ist die einfache Antwort „Verbieten!“ so gefährlich.
Entscheidend ist außerdem: Eine terroristische Vereinigung setzt einen organisierten Zusammenschluss von Personen voraus, die gemeinsam handeln und durch gemeinsame Ziele verbunden sind. Ein bloßes Bekenntnis zu einer Haltung reicht nicht. Genau das fehlt bei der Antifa. Antifa ist nicht mehr und nicht weniger als eine Haltung gegen Faschismus. Das ist der einzige Nenner, der Menschen verbindet, die sich so nennen. Die erste Gruppe, die das tat, war die „Antifaschistische Aktion“, eine kommunistische Aktionsgruppe in der Weimarer Republik. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg war der Begriff aber weit in die bürgerliche Gesellschaft vorgedrungen.
Heute setzen Rechte den Begriff Antifa gern gleich mit „gewaltbereiter Linksextremismus“. Damit schaffen sie ein Feindbild, das es in dieser Form gar nicht gibt.
Manche sagen, die Antifa sei das linksextreme Gegenstück zum NSU. Das ist die sogenannte Hufeisentheorie. Ich halte das für Unsinn. Denn der Kern linker Ideologien ist der Traum von einer Zukunft, in der alle Menschen gleichberechtigt leben können. Dabei passieren Fehler, es entstehen Brüche und auch Trümmer. Rechte Ideologien funktionieren völlig anders: Sie bauen auf der Vorstellung auf, dass Menschen ungleich viel wert sind. Sie brauchen Feindbilder und leben vom Hass auf andere Gruppen. Das ist ihr Markenkern.
In Diskussionen höre ich oft: „Die Antifa zündet Autos an, sie wirft Steine auf Autobahnen, sie gefährdet Menschenleben.“ Aber erstens ist oft gar nicht klar, ob die Handelnden überhaupt im Namen der Antifa auftreten. Und zweitens: Wer brennende Mülltonnen oder zerbrochene Schaufenster mit den Morden des NSU gleichsetzt, betreibt Gleichmacherei. „Verbrechen ist Verbrechen“, heißt es dann. Doch genau das höhlt politischen Widerstand aus. Denn was als Verbrechen gilt, entscheiden die Mächtigen. Heute ist es die Mülltonne, morgen vielleicht schon der Aufruf zu einer Gewerkschaftsversammlung oder ein Generalstreik gegen autoritäre Macht.
Für mich ist Antifa nicht die Karikatur eines Gewaltclubs, wie sie Rechte zeichnen. Antifa ist Ausdruck des Willens, sich wirksam gegen die Wiederkehr faschistischer Herrschaft zu engagieren. Wenn man das verbietet, verbietet man im Grunde jede demokratische Partei und jede demokratische Meinung. Wer Vandalismus bekämpfen will, kann das längst mit dem Strafrecht tun. Dafür braucht es kein politisches Feindbild. Und schon gar nicht darf daraus eine ganze politische Haltung kriminalisiert werden – ausgerechnet eine Haltung, die sich gegen Gewalt und Hass stellt.
Und jetzt schauen wir nach Amerika. Donald Trump hat per Dekret erklärt, die Antifa sei eine inländische Terrororganisation. Er hat sie aber nicht definiert. Mit diesem Federstrich gibt er sich selbst das Recht, jeden Gegner mit einem einzigen Wort abzustempeln. Er behauptet, die Antifa zeige „Muster politischer Gewalt“ und wolle „rechtmäßige politische Aktivitäten unterdrücken“. Das ist juristisch nicht haltbar, es ist reine Rhetorik. Es ist die Sprache, mit der man Gegner nicht widerlegt, sondern vernichtet.
Trump geht noch weiter. Er schickt die Nationalgarde in Städte, angeblich weil sie von der Antifa „belagert“ würden. In Portland, im Bundesstaat Oregon, ließ er Truppen aufmarschieren, um ein Gebäude der Einwanderungsbehörde zu schützen, in dem Menschen ohne Papiere oft gesetzwidrig festgehalten werden. Der Bürgermeister protestierte wütend und erklärte, es gebe keinen Ausnahmezustand und keine Bedrohung, die diesen Einsatz rechtfertigen könnte. Die Regierung von Oregon versuchte sogar gerichtlich, ihn zu stoppen. Doch die Bilder waren da: Soldaten in den Straßen einer amerikanischen Großstadt, angeblich, um das Land vor einer erfundenen Bedrohung zu retten.
Das ist kein Rechtsstaat mehr, das ist der Ausnahmezustand. Es ist genau die Methode, mit der ein Klima der Angst erzeugt wird. Wer heute unter das Label „Antifa“ fällt, ist gesellschaftlich und politisch erledigt, auch wenn kein Gericht ihn je verurteilt. So beginnt Faschismus: nicht mit Lagern, sondern mit Angst. Mit Worten, die zu Waffen werden. Mit dem Versuch, Widerstand gegen Hass und Diktatur selbst zum Feind zu erklären, mit der Feigheit der Medien und der Willfährigkeit der Behörden.
Antifaschismus ist kein Angriff auf Demokratie. Antifaschismus ist ihre Grundlage. Wer das Gegenteil behauptet, stellt sich selbst gegen die Demokratie. Und das gilt nicht nur für Amerika. Auch unsere eigene Verfassung ist aus der Erfahrung mit dem NS-Regime hervorgegangen. Das Grundgesetz ist ausdrücklich antifaschistisch. Es verpflichtet uns zur Demokratie, zum Rechtsstaat, zur Gewaltenteilung, zur Menschenwürde und zur sozialen Gerechtigkeit – und es schützt diese Prinzipien mit einer Ewigkeitsgarantie. „Lange her und trotzdem da, Grundgesetz ist Antifa“ – so lautet ein Slogan, der genau das trifft. Und wenn Donald Trump oder sonst eine Regierung meint, die konsequente Haltung gegen Rechtsextremismus und Faschismus zum Terror erklären zu müssen, dann bin ich eben Terrorist – ohne jemals einem Menschen etwas angetan zu haben. https://wahrenhaus.jens-bertrams.de/2025/10/ab-sofort-bin-ich-terrorist-ich-bin-antifa/