loading . . . Werch ein illtum, auch die Geschichtswissenschaft in ein Links-Rechts-Schema zu pressen Ich habe hier länger nicht gebloggt (Pandemie, viel zu tun, dies und das). Aber manche Kommentare erfordern dann doch ein paar Zeichen mehr, als es Bluesky (und davor Twitter) erlauben.
Auslöser ist ein Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der Jannis Koltermann unter dem Titel „Wird Klio jetzt konservativ?“ (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/vor-historikertag-richtungsstreit-in-der-geschichtswissenschaft-110659423.htm; dort „Wird die Geschichtswissenschaft jetzt konservativ?“) der Politisierung unseres Faches nachgeht. Und der Vorspann deutet eine Richtung an, der sich sicher niemand verschließen mag: „Vor dem Historikertag diskutiert die Geschichtswissenschaft ihre politische Positionierung. Während die einen ein stärkeres Engagement ‚gegen rechts‘ fordern, hoffen die anderen auf das Ende einer linksliberalen Hegemonie. Warum von mehr Pluralität alle profitieren würden.“
Ein Plädoyer für Pluralität? Da spricht doch nichts dagegen?
Man kann es im Grunde in einem Satz vorwegnehmen: Die FAZ übernimmt das gähnend langweilige Links-Rechts-Argumentationsschema der gesellschaftspolitischen Diskurslage und die damit einhergehende Schuldzuweisung (Links übertreibt es, das mobilisiert die andere Seite) – nur dass es diesmal nicht die „Rechten“ sind, sondern „Konservative“.
Wir erfahren eingangs, dass sich Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, bei einer Semestereröffnung in Tübingen „für eine politisch engagierte Geschichtswissenschaft“ ausgesprochen habe – nach einer international vergleichenden Analyse der Bedrohungen der Geschichtswissenschaft durch rechtsextreme Anfeindungen und rechtsautoritäre Regime. Ein wichtiger Impuls – zu dem Koltermann aber nicht weiter recherchiert. Dabei wäre es sinnvoll, den Geltungsgründen dieses Plädoyers nachzugehen, um gerade nicht im üblichen ermüdenden Links-Rechts-Dualismus steckenzubleiben. Lieber aber setzt Koltermann „gegen rechts“ in Anführungszeichen. Stattdessen werden dann sehr rasch, und ohne eigene und schon gar nicht international vergleichende Analyse, zwei „Pole einer Debatte“ behauptet, die die Geschichtswissenschaft (im Singular) „seit einigen Jahren zunehmend umtreibt“.
Auf die Idee, die Geschichtswissenschaft solle sich so wenig politisch-normativ verhalten wie möglich, folgt kurz darauf die offenbar ernst gemeinte Frage, ob sie (die Geschichtswissenschaft) „die Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse [nicht] zum Anlass nehmen [sollte], konservative Positionen besser zu integrieren“. Was denn nun: konservative Positionen integrieren oder politisch „neutral“ bleiben (was auch immer das genau heißt)? Und inwiefern ist „die Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse“ relevant für die Geschichtswissenschaft – muss sie solchen Verschiebungen, wenn es sie denn überhaupt in dieser Form gibt, folgen? Wieso?
Und: In was hinein sollen die konservativen Positionen denn integriert werden? Es gibt keine homogene Gemeinschaft von Historiker:innen, in die hinein integriert werden kann; aus liberaler Perspektive gibt es zunächst nur eine Vielzahl und eine Vielfalt von geschichtswissenschaftlichen Stimmen und Perspektiven. Wenn es Menschen gibt, die diese Vielfalt als „linksliberal“ labeln und unter diesem Label zusammenfassen, als handele es sich um eine mehr oder weniger homogene Gruppe, dann ist das genau das Phänomen, das es journalistisch zu kontextualisieren und zu analysieren gilt – Journalismus ist ja, wie man hören kann, gut beraten, nicht selbst Partei zu übernehmen und damit in Aktivismus zu verfallen, sondern einzuordnen und zu verstehen. (Wenn Zeitungen versuchen, mir meinen Job als Historiker zu erklären, erkläre ich ihnen auch gerne den ihren – ich helfe gern.)
Lustig wird es, wenn Koltermann spekuliert: „So weit wie Gerstenberger [die sich für Engagement und gegen ein falsches Verständnis von Neutralität ausgesprochen hat] würden die meisten ihrer Fachkollegen wohl nicht gehen.“ – Wirklich? Woher wissen wir das? Wie viele hat er denn gefragt – oder reicht ihm die subjektive Vermutung? Und wird über die Güte von Argumenten (diejenigen von Gerstenberger lernen wir leider nicht kennen, was sicher nicht an ihr liegt) in der Geschichtswissenschaft mit Mehrheiten entschieden?
Wann immer es zu „links“ wird (was eher eine Zuschreibung als eine Analyse ist), wird von der anderen Seite nach „Wertneutralität“ gerufen; aber das hätte in dieser Form nicht einmal Karl Popper gefordert, und Max Weber schon gar nicht – Koltermanns Behauptung, es lasse sich eine „Aufgabe des Wertfreiheitspostulats“ diagnostizieren, offenbart vor allem eine unzureichende Lektüre Max Webers. Für dessen Wertfreiheitspostulat ist nicht relevant, ob die Erkenntnisinteressen wertgeleitet sind; Werte dürfen nur die Analyse nicht kontaminieren. Das würde, wenn es passierte, im Fach in der Tat zu kontroversen Diskussionen führen; mir ist aber kaum ein solcher Fall bekannt. Es ist kein Zufall, dass Koltermann auf die Historikertagsresolution von 2018 verweist; das ist der einzige mir bekannte Fall, bei dem das länger (und übrigens auch, jedenfalls teilweise, gerade nicht im Links-Rechts-Schema) diskutiert wurde (meine eigene Reflexion von damals findet sich noch hier: https://geschichtsadmin.hypotheses.org/597 und hier: https://public-history-weekly.org/6-2018-31/vhd-resolution/).
Koltermann führt gegen diese aus nachvollziehbaren Gründen migrationsfreundlich argumentierende Resolution das wohl dümmste Argument an: die „spätantike Völkerwanderung“ (die offenbar schlimm gewesen sein muss?). Nein, die „Völkerwanderung“ (ein Label für einen komplexen, ungerichteten, langwierigen und gerade nicht migrationshistorisch zu erfassenden Sachverhalt, zu dem man etwa Mischa Meier länger befragen könnte) ist gerade kein Argument für eine migrationskritische Perspektive. Koltermann entfaltet hier auch kein Argument; er nutzt die „Völkerwanderung“ nur als Chiffre, es weiß ja anscheinend jeder, was gemeint ist, wir wissen ja alle Bescheid.
Und signalisiert der Genderstern im Namen der “Historiker*innen für eine demokratische Gesellschaft” bereits, dass progressive Haltungen im Netzwerk besonders erwünscht sind? Wäre “Historikerinnen und Historiker” neutraler? Die Benennung spiegelt zunächst das Bemühen wider, alle Menschen unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität anzusprechen. Das kann man auf unterschiedliche Weisen tun. Ich nutze in der Regel den Doppelpunkt; das Netzwerk hat sich für das Sternchen entschieden. Andere nutzen die männliche und die weibliche Form, wieder andere bevorzugen soweit möglich Partizipialformen. So what? Das ist zunächst einmal nicht „links“, sondern Ausdruck eines Bemühens um das Ansprechen aller, die ggf. an den Aktivitäten des Netzwerks interessiert sind.
Nicht näher benannt und argumentativ ausgeführt werden die „aktivistischen Anregungen, denen gegenüber sich die Autoren in ‚Geschichte und Gesellschaft‘ aufgeschlossen zeigen“ – sie entstammen (laut Koltermann) „durchweg dem linken politischen Spektrum“. Die Welt kann so einfach sein. Welche Anregungen sind es denn?
Lustig auch, welche Kronzeugen für die „konservative“ Seite herangezogen werden. Es sind irgendwie immer die gleichen Namen. Peter Hoeres zum Beispiel weiß genau, welchen Parteien die Lehrstuhlinhaber:innen zeithistorischer Lehrstühle nahestehen – Respekt! Und dass das ohne weitere Einordnung in die FAZ übernommen wird – journalistischer Goldstandard? Gottseidank habe ich keinen zeithistorischen Lehrstuhl, sonst wären meine Wahlpräferenzen wohl allgemein bekannt … aber keine Sorge, es wird auch unbelegt stimmen, denn wie wir alle wissen, „gilt die Zeitgeschichte seit Langem als besonders links“. Ja. Ist doch bekannt! Wozu muss das noch belegt werden? Es ist ja vielleicht auch nicht so schlimm: „Viele Vertreter des linksliberalen Lagers betonen, sie würden gute Kontakte auch zu konservativen Kollegen pflegen …“ – nur dass wir sie halt nicht gefragt haben, wir wissen erneut nicht, wer das alles ist. Bin ich ein „Vertreter des linksliberalen Lagers“?
Und wo steckt eigentlich das Problem, wenn es wirklich so sein sollte, dass eine Historikerin, die „postkoloniale oder feministische Ansätze wählt, selten CDU-Mitglied sein“ wird? Das kann ja auch an der CDU liegen. Niemand hindert sie daran, sich für die Aufarbeitung kolonialen Unrechts, für die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen, für die Auseinandersetzung mit strukturellen Rassismen und dergleichen einzusetzen. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Es gibt nicht wenige Menschen in der CDU, die das tun. Krass!
Überhaupt bricht sich bei Koltermann immer wieder dualistisches Denken Bahn: Linke reden über Kolonialismus und Frauen, Konservative über Staaten, Nationen und Ethnien, aber auch über Recht, Diplomatie und Militär. Linke thematisieren Gerechtigkeit und Gleichheit, Konservative lieber „Ordnung“. Und deshalb hatten wir in den vergangenen Jahrzehnten (!) in Deutschland auch keine Militärgeschichte – also abgesehen von der durchaus vorzeigbaren (und vielstimmigen) Militärgeschichte, die es doch gab, die aber das Argument hier nur stören würde. Und für diese Militärgeschichte spielen manchmal auch „race, class oder gender“ eine Rolle. Man kann sich in die durchaus produktive Forschung zum Einsatz von Kolonialsoldaten im Ersten Weltkrieg und in den besetzten deutschen Gebieten nach dem Ersten Weltkrieg einlesen. Nur ein Beispiel von vielen.
Ein Widerspruch in sich vielleicht noch: Warum verlangt die DFG seit 2020 von jedem Antragsteller „eine Reflexion über die ‚Relevanz von Geschlecht und/oder Vielfältigkeit‘ in der eigenen Forschung“? Wegen der Pluralität, die Koltermann selbst einfordert. Wer den „jetzigen Mehrheitsverhältnisse[n]“ folgt, die Koltermann als Argument gegen diese Fördervorgaben anführt, der verengt mutmaßlich eher die geforderte weltanschauliche Pluralität.
Am Ende steht vielleicht hinter all dem nur die wenig überraschende Einsicht, dass Historiker:innen in der Tat progressivere Einstellungen teilen als ein repräsentativer Schnitt der Bevölkerung. Es würde mich nicht nur nicht wundern, im Gegenteil: Wäre es anders, würde mich das an den Qualifizierungswegen der Geschichtswissenschaft im Speziellen und der Wissenschaft im Allgemeinen zweifeln lassen. Es ist gut, wenn sich hier Menschen durchsetzen, die risikoaffiner und veränderungsoffener sind, die intellektuelle Neugier mit dem Interesse am Unbekannten verbinden. Mit einem „Pendelausschlag ins Extreme“ (Koltermann) hat das nichts zu tun: An keinem geschichtswissenschaftlichen Lehrstuhl wird meines Wissens aktiv gegen die Verfassung gearbeitet oder der Barrikadenbau vorbereitet.
Kann eine konservative Klio demokratisch sein, wie Koltermann behauptet? Na klar. Niemand hat etwas anderes behauptet – ein klassisches Strohmannargument.
Ein Plädoyer für mehr Pluralität in der Geschichtswissenschaft also? Da spricht doch nichts dagegen? Nein. Ganz im Gegenteil.
Aber: Der FAZ-Artikel plädiert gerade nicht für Pluralität. Er hat Pluralität, so lese ich das, nicht einmal verstanden. Denn in dieser manichäischen, binären, dualistischen Konzeptualisierung der Welt gibt es keine Pluralität, keine Vielfalt, keine Unschärfen und Ambivalenzen, sondern nur „die einen“ und „die anderen“. So verwandelt sich Geschichtswissenschaft in eine Schaukel, bei der mal der eine, mal der andere oben sitzt. Und von diesem Denken profitiert wirklich niemand – am wenigsten eine Geschichtswissenschaft, zu deren Stärken immer eine viel größere Komplexitätssensibilität und auch eine große Ambiguitätsoffenheit gehörten und weiterhin gehören.
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OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Andreas Frings (1. September 2025). Werch ein illtum, auch die Geschichtswissenschaft in ein Links-Rechts-Schema zu pressen. _Geschichte verwalten_. Abgerufen am 1. September 2025 von https://geschichtsadmin.hypotheses.org/1062
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