loading . . . Das neue Wiener Koalitionsprogramm: Werden diese grossen Versprechen gehalten? Michael Ludwig und Bettina Emmerling haben die Fortsetzung ihrer rot-pinken Koalition bis 2030 verkündet. Die persönliche Besetzung der Regierung bleibt größtenteils gleich, dafür kommt ein neues Koalitionsprogramm. Darin finden sich zahlreiche große Worte, die – für bare Münze genommen – eine Transformation der Stadt Wien im Sinne von #PlatzFürWien erwarten lassen. Besonders das Ressort von Stadträtin Ulli Sima steht in unserem Fokus. Schafft sie umzusetzen, was die Regierung im Programm verspricht? Auch Stadtrat Jürgen Czernohorszky ist mit verbesserter Partizipation und Begrünungsversprechen gefordert.
Wir haben die wichtigsten Punkte von Radhighways über Tactical Urbanism bis Gartenstraßen und Ringstraße für dich zusammengefasst und erklären dir außerdem, weshalb Begriffe wie „Lobautunnel“ und „Supergrätzl“ gänzlich fehlen!
**Du willst selbst nachlesen?**
>> Das Regierungsprogramm findest du hier!
## **Echte Partizipation oder weiterhin Particitainment?**
Das Programm verspricht den „Einsatz losbasierter Demokratieprojekte wie Bürger*innenräte“. Diese kommen bereits in der Demokratie-Strategie als „Wiener:innen-Rat“ vor. Was uns fehlt: Eine Verankerung dieser Räte in der Verfassung, sowie deren Einsatz auf Bezirksebene, sonst bleiben sie wirkungslos! Apropos Demokratie-Strategie: Sie wird im Programm bestätigt und soll im Herbst 2025 vom Wiener Gemeinderat beschlossen werden. Unsere Verbesserungsvorschläge dafür hatten wir hier an Stadtrat Czernohorszky adressiert.
Konkrete partizipative Herausforderungen greift das Programm der selbsternannten „Aufschwungskoalition für Wien“ beispielsweise für die Wallensteinstraße auf: Sie soll „auf Grundlage der bereits erfolgten Bürger:innenbefragung“ umgestaltet werden. Da muss die lokale SPÖ über ihren Schatten springen, denn die befragte Bevölkerung will sichere Radinfrastruktur statt Parkplätze. Ein weiterer Beteiligungsschwerpunkt des Koalitionsprogramms liegt bei Kindern und Jugendlichen, es wird die „Umgestaltung eines Platzes, bei der Kinder und Jugendliche von Beginn an mitgestalten und mitplanen“ versprochen. Nur ein Platz für ganz Wien? Viel mehr davon!
## **Paradigmenwechsel Tactical Urbanism**
Ein erstaunlicher Satz findet sich im Programm: „Wir bauen eine Kompetenzstelle in der Stadtverwaltung mit Fokus auf Tactical Urbanism Maßnahmen auf“. Darunter sind Farbmarkierungen, Pflanztröge, Betonelemente zu verstehen, die rasch zur Verkehrsgestaltung und vor allem Beruhigung eingesetzt werden können. Bisher war das meist ein No-Go für die perfektionistische Stadt Wien, obwohl solche Methoden doch kostengünstige Umsetzungen ermöglichen und von Bogota bis Mailand erprobt sind. Nun auch im sonst so perfektionistischen Wien?
Städte wie Mailand machen es vor: Mit „Tactical Urbanism“ werden einfache und kostengünstige Mittel eingesetzt und damit der Stadtbevölkerung Raum zum Leben zurückgegeben (Fotos: Stadt Mailand)
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Zwei Beispiele dafür im Programm sind „Grätzloase mit Tactical Urbanism-Ansatz” und Betonleitwände für den Radverkehr, wie schon bald am Neubaugürtel eingesetzt: „Um schneller zu werden, bedienen wir uns zunehmend alternativer Elemente, um eine Abgrenzung vom Kfz-Verkehr zu erreichen.“ Gut so! In Paris konnten so in den letzten Jahren hunderte Schulstraßen und geschützte Radstreifen schnell und kostengünstig umgesetzt werden. Das wäre ja dann in Wien auch möglich.
## **Radoffensive verdreifacht ihre Ansprüche**
Das größte Versprechen im Programm bezieht sich auf drei Radhighways, die in dieser Regierungsperiode entstehen sollen: vom Ring über den Bahnhof Meidling bis zur Stadtgrenze in Liesing („abhängig von den Ausbauplänen der Südbahn durch die ÖBB“), von der Ringstraße nach Hernals sowie entlang der Verbindungsbahn von Meidling nach Penzing. Der Vergleich mit dem neuen Stadtentwicklungsplan zeigt jedoch, dass noch mehr Ambition nötig ist, wenn die Stadt ihre Ziele tatsächlich erreichen will.
Im sogenannten _Wien-Plan_ (der Stadtentwicklungsplan – STEP 2035) sind sechs Korridore für Radhighways definiert, die bis 2035 entstehen sollen. Keiner davon liegt an der Verbindungsbahn. Die im Regierungsprogramm genannten Projekte decken also bis 2030 maximal zwei der sechs Korridore ab. Die bisher nur fast fertiggestellten Radhighways West, Süd und Nord sind immerhin schon seit 2014 in Planung und Umsetzung.
## Ringradweg neu gedacht?
Die Aktive Mobilität am Ring platzt bereits jetzt aus allen Nähten – wenn dann auch noch immer mehr Verkehr von weiteren Radhighways darin mündet, kann das nicht gutgehen. Gut dass das Programm (und damit Ulli Simas Ressort) verspricht, „den Fuß- und Radverkehr zu entflechten und so einen hochwertigen Radverkehrs- und Flanierraum zu schaffen“. Die Nebenfahrbahnen sollen dafür herangezogen werden. Weitere Attraktivierungen des Rings werden angerissen.
Ideen für eine autofreie Umgestaltung am Ring gibt es schon genüge – wie hier vom Stadtplanungsbüro Barcelona Regional im Auftrag der Stadt Wien bereits 2015 erarbeitet (Rendering: Barcelona Regional)
Ansonsten lesen wir zum Thema Rad das Übliche: Einbahnöffnungen, Ampelschaltungen, Baustellenmanagement, Bezirksradwege-Offensiven, Absage an Mehrzweckstreifen – letztere erfüllen „die hohen Wiener Standards nicht mehr“. Bei all diesen altbekannten Themen sind raschere Umsetzung und weniger Bevorzugung des Autoverkehrs als bisher gefragt. Bei den versprochenen Verbesserungen bei baustellenbedingten Umleitungskonzepten und Beschilderungen auf Hauptradrouten, kann sich die Stadtregierung gleich an der eigenen Nase nehmen. So soll der Steinitzsteg neben der Nordbrücke für eine Baustelle gleich fünf (!) Jahre lang für Rad- und Fußverkehr gesperrt werden – und damit eine der wichtigsten Verbindungen nach Floridsdorf gekappt werden. Sorgt auch hier die Stadtregierung für „Aufschwung“?
Am 6. Juni 2025 demonstrieren viele #WirMachenWien Initiativen bei Radeln for Future für einen offenen Steinitzsteg
## **Zu Fuß Gehen als Randphänomen für Stadt Wien?**
Das Regierunsgprogramm weist eine große thematische Lücke im Mobilitätsbereich auf. Während der Radverkehr mit konkreten Projekten glänzen kann, wird der Fußverkehr nur vereinzelt gemeinsam mit anderen Themen wie Schulwegsicherheit und Verkehrsberuhigung oder der Ringstraße abgehandelt. Die Koalition muss hier nachbessern und das Zu Fuß Gehen mit seinem riesigem Potenzial für die Verkehrswende besser berücksichtigen und Maßnahmen umsetzen.
## **Begrünung mit Wortschöpfungen** und Gartenstraßen
Die Programmpunkte zu Begrünung haben es in sich, auch wenn Volumina und Zeitziele unklar oder schwer einzuordnen sind: „400.000 Quadratmeter neue und neu gestaltete Park- und Grünflächen“ sind eben entweder neu oder nur neu gestaltet. „20.000 neue Bäume“ sind viele, aber: Sind das alles neue Baumstandorte? Sind sie im Park oder im Straßenraum? Oder ersetzen sie großteils nur alte Bäume? Auch das angeführte „Schwammstadtprinzip“ tickt die zeitgemäße Box, aber ohne messbaren Zielen zur Umsetzung. Dazu kommen Wortkreationen wie „Beserlpark XL“ und internationale Fachbegriffe wie „Pocketpark“, die allerdings fachlich dieselbe Bedeutung haben.
Eine aufsehenerregende Neuigkeit sind die „Wiener Gartenstraßen“, die an die Straßenpark-Konzepte der BOKU erinnern oder an die begrünten, autofreien Straßen in Paris. Sie werden als „entsiegelte, intensiv begrünte Aufenthalts- und Erholungsbereiche mit hoher mikroklimatischer Wirksamkeit im Straßenraum“ bezeichnet – genau was sich die #WirMachenWien Initiativen wünschen!
Im Stadtentwicklungsplan (STEP) werden bis 2035 allerdings nur 25 Gartenstraßen versprochen, und das im Zeitrazum von zehn Jahren. Zum Vergleich: In Paris wurde kürzlich per Befragung dafür gestimmt, 500 Straßen in den nächsten Jahren zu begrünen und zu Fußgängerzonen zu machen. Das sind 25 in jedem Arrondissement und 20x so viel wie in Wien. Übrigens kann sich eine Gartenstraße laut STEP auch über nur einen Häuserblock erstrecken, was das ganze Vorhaben noch unzureichender für Wiens 23 Bezirke erscheinen lässt.
Wie hier in Oslo könnte eine Gartenstraße aussehen. (Foto Jürgen Furchtlehner, BOKU)
Es werden einige konkrete Beispiele für Begrünungen auf Seite 99/100 angeführt, z.B. „entsiegeln, begrünen und kühlen wir das Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnhof“ und die Fahrradstraße Geblergasse bekommt alle 50 Meter einen neuen Baum. Durch solche Maßnahmen werden die #PlatzFürWien Forderungen zwar nach und nach erfüllt, aber nicht ausreichend: eine Straße braucht Bäume im Maximalabstand von 10 Metern, um durch Baumkronendecken gut gekühlt zu werden.
## #**PlatzFürWien statt Parkplatz**
Mit dem Wording „Platz statt Parkplatz“ (Seite 101) im Regierungsprogramm hat sich die SPÖ Wien nun Wortwahl und Forderungen nach Flächengerechtigkeit von #PlatzFürWien gänzlich zu eigen gemacht. Denn „faire und effiziente Flächenverteilung des öffentlichen Raums steht an vorderster Stelle bei Neuplanungen und Umgestaltungen“. Das wird genau zu beobachten sein, inwiefern diese Vorhaben der Real(bezirks)politik standhalten.
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„Parkstreifen entlang von Gleis- und Bustrassen werden umgestaltet, um Falschparken und Blockaden des öffentlichen Verkehrs zu vermeiden“ ist eine wichtige überfällige Maßnahme und sollte sowohl Öffis als auch Fuß- und Radverkehr zugutekommen. Das trifft auch auf den vielversprechenden, wenngleich vagen Satz „Kfz-dominierten Plätze vor repräsentativen Gebäuden am Ring betrachten wir als besondere Potenzialorte“ zu. So betrachten wir sie auch! Wir wissen aus ihrem Wahlprogramm, dass die NEOS hier an die Vorplätze der Universität Wien und vom MAK denken. Uns fallen allerdings viele weitere Orte ein – wie z.B. der Großparkplatz Heldenplatz – wo das Konzept „Park statt Parkplatz“ besonders angebracht und im Hitzepol Innere Stadt auch dringend nötig wäre.
## **Reduktion von Kraftfahrzeugen**
Die oben erwähnte faire und effiziente Flächenverteilung soll zur „Reduktion des Kfz-Durchzugsverkehrs“ führen, allerdings ohne das Wort Superblock oder Supergrätzl zu erwähnen, die im Stadtentwicklungsplan noch vorkommen. Dafür wird die Wortneuschöpfung „Low Traffic Grätzl“ im Regierungsprogramm eingeführt und damit ein Bezug zu ähnlich klingenden Zonen in London oder Italien hergestellt. Hier sollen „Modalfilter in Kreuzungsbereichen, Möglichkeiten für kostengünstige Begrünungen, künstlerische Gestaltung“ „für eine rasch bemerkbare Steigerung der Lebensqualität in den Gebieten“ eingesetzt werden. „Die City wird zur größten verkehrsberuhigten Zone Wiens” heißt es im Programm. Doch mit der „Superblock-Grundkarte“ gibt es bereits eine umfassende Sammlung von potenziellen neuen „Low Traffic Grätzln“ (erstellt von den #WirMachenWien Initiativen Radlobby und Geht-Doch). Werden diese umgesetzt?
Gut versteckt wird das Thema „Lobautunnel“: Der wird zwear nicht explizit benannt, trotzdem werden wichtige Projekte damit verknüpft. So soll die Straßenbahnlinie 25 erst dann in die Seestadt verlängert werden, wenn der Bund die S1-Spange baut – und damit das letzte Stück Autobahn vor dem Lobautunnel. Expert:innen warnen seit Jahrzehnten, dass dadurch mehr Kfz-Verkehr entsteht. Dennoch schriebt das Regierungsprogramm davon, „den Durchzugsverkehr in Wien [zu reduzieren], um Ortskerne zu entlasten und die Realisierung von Stadtentwicklungsgebieten im Nordosten Wiens zu ermöglichen“.
## **Schulwege kindergerecht machen**
Das Regierungsprogramm drängt für Schulen „auf eine Radverkehrsanbindung durch möglichst kinderfreundliche, sichere Anlagearten“. Von großer Bedeutung sind auch „die Umsetzung von autofreien Schulvorplätzen sowie die Ausweitung der Wiener Schulstraßen“ und „Verkehrsberuhigungen im Umkreis von Schulen“. Dafür braucht es aber mehr: Einen Masterplan mit klaren Zielen und Ausbaustufen. Positiv ist auch das „Pilotprojekt Fahrradschulwegplan“. Wir wissen allerdings: Es braucht einen Plan, damit sichere Radwege zu allen Schulen umgesetzt werden – nicht bloß eine Karte, die Radwege im Umfeld von Schulen anzeigt.
So grün kann Schulstraße in Wien: Fußgängerzone Mittelgasse in Mariahilf (Foto: WirMachenWien)
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## **Wortkreationen unter der Lupe**
#PlatzFürWien hatte vor fünf Jahren ein Mobilitätsgesetz gefordert, über 57.000 Wiener:innen haben die Petition unterzeichnet. Nun steht es im Regierungsprogramm: „Wir entwickeln das Wiener Garagengesetz zu einem umfassenden Wiener Mobilitätsgesetz weiter“. Was sich die Stadtregierung darunter vorstellt, ist noch offen. Immerhin „sollen alternative Mobilitäts- (Sharing, Fahrrad, öffentlicher Verkehr) und Infrastruktur-Angebote (E-Laden im privaten und halb öffentlichen Raum zur Verdichtung des öffentlichen Basisnetzes) besser verankert werden“ (Seite 95).
Weiters erfindet die „Aufschwungsregierung“ die Zeitnehmung neu, denn„als Gegenpol zur Kfz-fokussierten Stadt verfolgen wir das Konzept der ‚Wiener Viertelstunde‘“. Wenn das Konzept der 15-Minuten-Stadt aus Paris die Welt erobert, brauchen Wiener:innen dann länger oder kürzer? Weitere „Best-Practice-Beispiele aus anderen Städten werden bei künftigen Projekten“ herangezogen, „etwa bei Ampellösungen“. Bekommen wir also Regenampelschaltungen á la Groningen, wo erhöhte Luftfeuchtigkeit die Grünphasen für Radler:innen verlängert?
Und was sich hinter dem Wort „Entrée Hannovermarkt“ verbirgt, kann man mit Blick auf die derzeit in Bau befindliche neue Markthalle am Naschmarkt-Parkplatz schon erahnen. Auch diese wurde ja zum Entrée umgetauft.
## Fünf Jahre Zeit für Umsetzung
Wir werden die nächsten fünf Regierungsjahre genau schauen müssen, ob die SP-NEOS-Koalition ihre großen Versprechen bezüglich Partizipation, Aufenthaltsqualität und Flächengerechtigkeit hält. Unterstütze uns dafür am einfachsten mit deiner Spende. Oder werde bei dir im Grätzl aktiv: Du findest viele bestehenden Initiativen auf unserer Karte – und außerdem einen ganzen Haufen Tipps und Tricks im Bereich How To, wenn du selbst eine Neue gründen willst.
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