loading . . . Mein Leserbrief – Themenvielfalt und Kolonialismus _**Zum Geleit:**_
In Heft 3/2025 hat Christward Conrad einen Meinungsartikel veröffentlicht, der so nicht hätte veröffentlicht werden dürfen. Nicht, weil ich eine andere Meinung habe, sondern weil der Artikel voller Falschbehauptungen und Verschwörungstheorien ist. Im aktuellen Heft gibt es einen (guten) Gegenartikel von Daniel Wüllner. Das ist sinnvoll, aber mMn sollte man Falschbehauptungen nicht einfach als die Wahrheit durchgehen lassen (eine Strategie, die wir aus ganz anderen Ecken kennen). Ich habe deswegen einen langen Artikel geschrieben. Der wurde zwar abgedruckt, aber dabei auf wenige Zeilen eingedampft, so dass der Eindruck entsteht, ich hätte gar nicht argumentiert, sondern nur eben eine kurze Beschwerde rausgehauen. Ich nutze daher einmal diesen Raum, um meinen Leserbrief in voller Länge abzudrucken. Da ich bereits damit gerechnet hatte, dass die Spielbox den bestenfalls stark gekürzt wiedergibt, ist er so geschrieben, dass man der Argumentation auch folgen kann, ohne den besprochenen Artikel lesen zu müssen. Ich glaube meine Punkte sind auch für Nicht-Spielboxleser:innen interessant…. (Die Bilder und Links habe ich ergänzt und waren nicht im Leserbrief enthalten)
_**Zum Brief:**_
In seinem Meinungsartikel schreibt Christward Conrad „ _Mehr Mut! Mehr Vielfalt an Themen!“_. Da gehe ich absolut mit. Es ist allerdings die einzige Aussage im Artikel, der ich zustimme.
Beginnen wir mal mit seiner These, dass die Themen „früher“ vielfältiger waren. Anfang der 90er Jahre war ich bereits tief genug in der Szene drin, um die Spielbox zu beziehen. Und ich frage mich ernsthaft, wann dieses „früher“ gewesen sein soll. Zu jeder Zeit in den letzten 35 Jahren, wurde schon darüber diskutiert, dass der Großteil der Spiele mit gleichen Themen bedacht wurde. In den 90ern waren das beispielsweise überwiegend Ägypten, aber eben auch das „Zeitalter der Entdeckungen“, auf das Christward Conrad anspielt. Ich erinnere mich an ein Jahr, in dem drei Spiele _Columbus_ behandelten, an eine Spielbox mit zwei Zorro-Spielen. Ich erinnere mich an ein Essen, mit acht Spielen zu _Der Herr der Ringe_ , an eines mit 12 spielerischen _Sudoku_ -Umsetzungen. Als 2007 gleich vier (!) Spiele in Essen herauskamen, die in Ostasien spielten, sprach Bruno Faidutti auf seiner Homepage von einem „Trend Fernost“, weil Spiele mit Asien-Thema damals im Wortsinne Exoten waren. Ähnliches wiedeholte sich ein Jahr später mit dem Thema „Wikinger“ – heute ein Standard. _Bombenentschärfung, Flugzeuge landen, Klimawandel bekämpfen_ – auch der Blick auf Spiel-des-Jahres-Listen zeigt Themen, die es damals schlicht nicht gab, schon gar nicht bei größeren Verlagen. Schaut man sich die aktuelle Longlist des grauen und roten Spiel des Jahres an, so findet man keine SF und zwar Tierfiguren, aber keine Tier-Themen, sondern (je nachdem wie man zählt) 10-12 unterschiedliche Settings. Nicht umsonst bemüht der Autor zwei Spiele eines ehemaligen Ein-Mann-Betriebes, um zu zeigen, wie „vielfältig“ die Themen damals angeblich waren (und zumindest eines davon wurde auch recht negativ in der Spielbox besprochen). Die interessantere Frage wäre, warum es derartige Verlage nicht mehr gibt. Nein, die These „Spiele sind weniger vielfältig als früher“ ist reiner Mumpitz. Es sind halt mehr Spiele und dabei zahlenmäßig auch mehr mit denselben Themen, prozentual hat die Vielfalt definitiv zugenommen.
Daran merkt man schon ein bisschen, dass es dem Autoren des Textes gar nicht wirklich um die Vielfalt an sich geht, sondern um ganz spezielle Themen: Er vermisst explizit eurozentrische Themen, inklusive solchen mit Kolonialismusthema – eben jenes „Zeitalter der Entdeckungen“. Nun, das ist sein gutes Recht. Es ist aber auch eine ganz andere Aussage, als er in seiner Überschrift andeutet. Ich will jetzt seinen Versuch seine persönliche Meinung damit zu begründen, dass es (objektiv?) mehr Spaß machen würde zu unterdrücken, als unterdrückt zu werden, nicht weiter kommentieren, aber zumindest auf das fantastische _Spirit Island_ hinweisen, dass eben eine andere Perspektive sehr erfolgreich annimmt. Ich kann aber nicht umhin, ihn zu korrigieren: _Die Siedler von Catan_ wurde _nicht_ unbenannt, weil es die Schattenkabal der „Moralapostel“, denen er anscheinend den Kampf angesagt hat (*), fordern würden, sondern aus einem viel profanerem Grund: Markenrechte. Es gab, wegen der Namensähnlichkeit einen Konflikt zwischen Kosmos und dem Computerspiel „Die Siedler“ . Man einigte sich, dass beide Marken nebeneinander bestehen bleiben können, solange _Die Siedler_ in digitaler und _Die Siedler von Catan_ in analoger Form existieren und so keine Verwechslungsgefahr besteht. Diese Einigung war mit dem _Catan_ -Computerspiel hinfällig und Kosmos verkürzte den Namen auf _Catan_. Dieser Name ließ sich ‑ da sprachneutral‑ auch besser als _internationale_ Marke etablieren. Diese Erklärung ist nichts Neues und ehrlich gesagt erwarte ich von einem Fachmagazin wie der Spielbox etwas sorgfältigere Recherchearbeit, auch bei Meinungsartikeln.
Ähnliches gilt im übrigen auch für die anderen Behauptungen: Science-Fiction galt in den 90er Jahren noch als absolutes No-Go-Thema. Es hieß, es würde sich nicht verkaufen (Soviel zum Thema „Vielfalt“). Als sich das Crowdfunding dann etablierte wurden erstaunlich viele SF-Spiele verwirklicht. Es stellte sich heraus, dass Spielenerds, auch oft Science-Fiction Nerds sind. Es sind also weniger Moralapostel, die Science-Fiction fordern, sondern der Markt. Und Tiere? _Flügelschlag_ und _Cascadia_ haben gezeigt, dass viele Leute sich tatsächlich von Tieren mehr angesprochen werden, als vom Zeitalter der Entdeckungen. Dass diese Themen gefälliger sind, ist allenfalls ein Bonus. Sie sind nämlich in erster Linie international vermarktbarer. Die Szene ist internationaler geworden. Spiele werden nicht mehr nur in Deutschland gespielt, sondern auf allen Kontinenten. Und Spielende in Japan oder Australien oder Chile haben potentiell weniger Bindung zu einem weißen Europäer, der auf der Schachtel vor einem Schiff steht und „exotische“ Waren einlädt, denn zur möglicherweise heimischen Flora und Fauna. Von Spielenden aus Ländern und Kulturen, die immer noch die Nachwirkungen des Kolonialismus spüren, ganz zu schweigen.
Dass Christward Conrad diese Perspektive nicht erkennt oder erkennen will, ist das eine. Er beschwert sich aber, dass „Moralapostel“ im allgemeinen und Mable Preach im besonderen Themen kritisieren. Er fragt ob letztere das Recht habe, über ein Spiel zu richten, nicht erkennend, dass er damit selbst nicht nur über Mabel Preachs Aussage richtet, sondern natürlich auch selbst längst über das Thema gerichtet hat ‑ Er ist nur zu einem anderen Urteil gelangt. Die Frage warum er, aber nicht sie, das Recht hat zu urteilen ob Thema X in Ordnung ist oder nicht stellt sich ihm dabei gar nicht. Ein Kritiker wie er sollte aber in einen Diskurs _eintreten_ , nicht alle, die eine andere Meinung vertreten, abkanzeln und den Diskurs somit abwürgen. Der Artikel macht nicht den Eindruck als sei dem Autoren an irgendetwas anderem gelegen, als sich darüber aufzuregen, dass andere Spielende eine andere Meinung haben als er und dass sich die Verlage nicht an _ihm_ orientieren. Er nutzt seine Position nicht dazu, Fragen zu stellen oder sich auch nur konstruktiv mit einer Sache zu beschäftigen (wie es ein Kritiker tun sollte), sondern einfach nur dazu sich zu beschweren. Wobei er seine Beschwerde auch noch versucht mit falschen Aussagen und Fehlinterpretationen zu stützen. Das ist ärgerlich. Aber noch viel mehr ärgert mich die vergebene Chance auf Spurensuche zu gehen, worin bestimmte Entwicklungen (keine Kolonialismusthemen, keine Ein-Mann-Betriebe mit Abseitsthemen z.B.) _wirklich_ begründet sind, statt sich in kulturkämpferischen Verschwörungstheorien zu verlieren. Da frage ich mich dann wirklich, welche Leserschaft mit dem Text erreicht werden sollte.
ciao
peer
(*): Ergänzung zum Brief zur Erklärung: Wiederholt beschwert sich Conrad, dass nicht weiter benannte “Moralapostel”, die Verlage dazu zwingen kritische Themen zu verbieten und alle, die nicht seiner Meinung sind, diese mit riesigen Shitstorms zu überziehen. Explizit ruft er sogar dazu auf, sich von den Moralaposteln nicht unterkriegen zu lassen und diese aktiv zu bekämpfen. Naja.
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Peer Sylvester
Begann seine Spielerkarriere recht früh, weil sein Vater einen Gegner beim Schach brauchte. Berufswunsch in der dritten Klasse: “professioneller Schachspieler”. Lebt in Berlin und arbeitet als Lehrer für Mathematik und Chemie. Hat bereits erfolgreich seine ersten Spiele als Autor bei verschiedenen Verlagen veröffentlicht.
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