loading . . . # Kalter Kaffee macht schön!
von Thomas Stiegler
## Ist der Wunsch, die Natur zu bändigen und nach den eigenen Vorstellungen zu formen, nicht eines der wichtigsten Merkmale von Kultur? Auch wenn uns das ein Stück weit von unseren Ursprüngen entfernt und wir, zugespitzt formuliert, dadurch »unnatürlich« werden, zieht sich dieser Wunsch doch wie ein roter Faden durch unsere Geschichte. Man kann das überall beobachten, egal ob wir die Geschichte der Architektur betrachten, die Art unserer Fortbewegung oder unsere Essgewohnheiten – sie alle veränderten sich im Laufe der Zeit und entfernten sich immer weiter von ihrem »natürlichem« Zustand. Ein besonders gutes Beispiel scheint mir dabei das Bild von »Schönheit« zu sein, das im Laufe der Zeit zahlreiche Wandlungen durchlebte. Und genau darauf will ich in diesem Kapitel etwas genauer eingehen, um dann mit einem (hoffentlich) eleganten Schwenk doch wieder beim Kaffee zu landen …
Beginnen wir mit etwas ganz Einfachem: Im Tierreich ist Schönheit (ich denke dabei an die prächtigen Federn eines Pfaus oder die aufwendigen Balzrituale eines Auerhahns) einfach ein Zeichen von Kraft und Gesundheit und dient damit als wichtigstes Kriterium für die Auswahl eines Partners. Auch bei uns Menschen ist das seit jeher so, doch durch das, was wir »Kultur« nennen, ist die Sache etwas komplizierter geworden. Dazu muss ich allerdings etwas ausholen:
Schönheit an sich (bzw. das, was wir als schön empfinden) ist ja weder etwas Objektives, das unabhängig von uns Menschen existiert, noch etwas vollkommen Subjektives, das jeder Mensch gänzlich unbeeinflusst von seiner Umwelt aus sich selbst heraus bestimmen kann. Vielmehr gibt die vorherrschende Kultur den Rahmen vor, innerhalb dessen wir denken und empfinden, und damit auch die Vorstellung davon, was wir als schön empfinden. Da aber die Gesellschaft mit ihren Regeln und Normen den Raum definiert, innerhalb dessen eine Kultur blühen kann, gilt derjenige, der sich am besten an sie anpasst und nach ihren Regeln und Moden spielt, am erfolgreichsten und wird deshalb als schön empfunden.
Beginnen wir mit etwas ganz Einfachem: Im Tierreich ist Schönheit (ich denke dabei an die prächtigen Federn eines Pfaus oder die aufwendigen Balzrituale eines Auerhahns) einfach ein Zeichen von Kraft und Gesundheit und dient damit als wichtigstes Kriterium für die Auswahl eines Partners. Auch bei uns Menschen ist das seit jeher so, doch durch das, was wir »Kultur« nennen, ist die Sache etwas komplizierter geworden. Dazu muss ich allerdings etwas ausholen:
Schönheit an sich (bzw. das, was wir als schön empfinden) ist ja weder etwas Objektives, das unabhängig von uns Menschen existiert, noch etwas vollkommen Subjektives, das jeder Mensch gänzlich unbeeinflusst von seiner Umwelt aus sich selbst heraus bestimmen kann. Vielmehr gibt die vorherrschende Kultur den Rahmen vor, innerhalb dessen wir denken und empfinden, und damit auch die Vorstellung davon, was wir als schön empfinden. Da aber die Gesellschaft mit ihren Regeln und Normen den Raum definiert, innerhalb dessen eine Kultur blühen kann, gilt derjenige, der sich am besten an sie anpasst und nach ihren Regeln und Moden spielt, am erfolgreichsten und wird deshalb als schön empfunden.
Büste einer jungen Frau beim Kaffeetrinken, Louis Marin Bonnet, 1774; © Rijksmuseum, CC0
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Da sich die Spielarten der Kultur aber stetig wandeln, hat sich im Laufe der Geschichte auch die Vorstellung dessen, was als schön gilt, immer wieder verändert und an den herrschenden Zeitgeist angepasst. Heute erscheint uns so manche vergangene Spielart der Mode (gelinde gesagt) etwas seltsam und unnatürlich – man denke dabei etwa an die »Poulaines«, die Schnabelschuhe des Mittelalters, deren Spitzen teilweise so lang waren, dass sie hochgebunden werden mussten, damit der Träger nicht stolperte. Aber als historisch interessierte Menschen müssen wir akzeptieren, dass auch sie einfach ein Ausdruck ihrer Zeit waren. Und gerade wir Heutigen sollten uns im Bereich der Mode nicht über andere erheben, denn wenn man die triste, farb- und freudlose Mode unserer Tage vergleicht mit dem, was uns ein Tizian oder Rubens mit ihren vor Leben fast berstenden Figuren als Ideal hinstellten, dann ist man manchmal nahe daran, an unserer Zeit zu verzagen. Aber ich denke, auch das wird vergehen und es werden wieder fröhlichere und vor allem lebendigere Tage anbrechen. Denn das Leben beschreitet ja keinen vorgegebenen Weg von A nach B mit einem bestimmten Ziel, auf das wir uns zubewegen, sondern es ähnelt einer Spirale, in die die Menschheit eingebunden ist und in der alles irgendwann wiederkommt. Auch früher schon gab es Epochen, in denen ein tristes Bild von Schönheit vorherrschte oder sogar Hässlichkeit, also das krankhafte und »unnatürliche« Aussehen eines Menschen, als ein Schönheitsmerkmal angesehen wurde. Doch auch diese Zeiten sind irgendwann vergangen und machten wieder einem anderen Ideal Platz.
Eine Epoche, die nicht gerade für ihre Hässlichkeit bekannt ist, wohl aber für die Unnatürlichkeit ihrer Zeitgenossen, ist das Barock. Denn abgesehen von dem marionettenhaften Auftreten seiner Menschen (das Ideal der Zeit war die an Fäden gezogene Gliederpuppe) und von der gezirkelten Sprache (man lese nur einmal Umberto Ecos Roman _Die Insel des vorigen Tages_), versuchte man auch, sich im äußeren Erscheinungsbild möglichst weit von der Natur zu entfernen (obwohl seltsamerweise gerade diese Menschen davon überzeugt schienen, vollkommen »natürlich« zu sein). Dabei war eine makellos weiße Haut eines der wichtigsten Schönheitsmerkmale, und die Frauen taten beinahe alles, um diesem Ideal zu entsprechen. Das reichte von regelmäßigen Aderlässen über weißen Puder, der großzügig auf Gesicht und Dekolleté verteilt wurde, bis hin zu anderen, noch weit gefährlicheren Mitteln. Auch die Haare durften auf keinen Fall weich und natürlich fallen, sondern wurden kunstvoll aufgetürmt oder unter einer aufwendigen Perücke versteckt. Welche Ausmaße dies annehmen konnte, erfährt man in einem Bericht über den österreichischen Kanzler Kaunitz: »Um sein Perrücken zu pudern, mußten vier Bediente mit Blasebälgen in einem Zimmer große Puderwolken unablässig in Bewegung setzen, während welcher Zeit Kaunitz auf und niedergehend den feinsten Puder mit seiner Perrücke aufzufangen und zugleich eine richtige Vertheilung desselben zu erreichen suchte.«1
Das war jetzt nur als kleine Anekdote gedacht, um zu zeigen, zu welch absonderlichen »Verirrungen« die Spielarten der Mode (auch heute noch) führen können – aber natürlich habe ich sie mit Absicht gewählt. Denn vom habsburgischen Staatskanzler Kaunitz machen wir jetzt über die Zwischenstation »Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder« einen Sprung zur französischen Königin Marie Antoinette:
Bild: Porträt einer venezianischen Familie mit einem Diener, der Kaffee serviert, Pietro Longhi, um 1752; CC0 Rijksmuseum Amsterdam
Wie allgemein bekannt sein dürfte, hat Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg (so sein vollständiger Name) Mitte der 1750er-Jahre eine vollständige Wende der habsburgischen Außenpolitik vollzogen und mit einer »diplomatischen Revolution« den jahrhundertealten Gegensatz zwischen dem französischen Königreich und der Habsburgermonarchie zu überwinden versucht. In einer kompletten Umkehrung der bisherigen Politik verbündeten sich die ehemaligen Feinde und besiegelten diesen neuen Pakt unter anderem durch zahlreiche Heiraten, etwa zwischen dem späteren Kaiser Joseph II. und Isabella von Parma (die Geschichte seiner unerwiderten Liebe zu dieser Frau und deren Beziehung gerade zu seiner Schwester würde allein ein eigenes Kapitel füllen, aber leider gibt es dazu keine »Kaffeegeschichte«). Schon früh brachte er auch eine Verbindung der beiden Herrscherhäuser ins Spiel, nämlich durch eine Vermählung des Dauphins Ludwig August mit der jüngsten Tochter der Kaiserin Maria Theresia, der erst vierzehnjährigen Maria Antonia, welche schließlich am 19. April 1770 in der Wiener Augustinerkirche (wenn auch nur »per procurationem«) vollzogen wurde. Nach einer umjubelten Reise durch ihre neue Heimat fand schließlich am 16. Mai die eigentliche Trauung statt – und damit befinden wir uns endlich da, wo ich von Anfang an hinwollte: im Zentrum der französischen Monarchie, in Versailles!
Stellen wir uns ein prächtig ausgestattetes Zimmer in diesem wohl schönsten Schloss Frankreichs vor und darin eine adelige Dame, die zur jungen Königin geladen ist. Hochgeschnürt sitzt diese da, im viel zu engen Mieder, seit Stunden wird ihr Haar frisiert und gepudert, und ihr Gesicht verschwindet fast hinter einer weißen Maske. Als sie nach einer Erfrischung ruft, kommt ihr Kammerdiener mit einer Tasse frisch gebrühten Kaffees. Doch welch Impertinenz – sieht er denn nicht, wie der heiße Dampf aufsteigt und weiß er nicht, dass dieser all die Bemühungen der königlichen Kammerzofe zunichtemachen würde? »Hinaus mit ihm, hinaus!«, faucht die Königin ihn an. »Bring er mir kalten Kaffee!«
Und so kam es schließlich dazu, dass der Kaffee in diesen Kreisen bald nur noch kalt getrunken wurde. Denn »kalter Kaffee macht schön« – oder besser ausgedrückt: »Kalter Kaffee _bewahrt_ die Schönheit« …
Jetzt auch als Buch (zitiert in FAZ und ZEIT): Kaffee – 35 Kulturgeschichten für Genießer
Zum Buch
##### Fußnoten
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1 von Schlözer, Kurd: Choiseul und seine Zeit. Berlin 1848, S. 6.
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